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Auf den Spuren der Industrialisierungin Halle an der Saale

Bewegt man sich durch die Hallesche Innenstadt, begegnen einem Gebäude mit sehr verschiedenen Gesichtern. Eine bunte Mischung an Größe, Bauweise und historischer Zugehörigkeit bildet Straßenzüge und Stadtviertel. Neben Wohnhäusern, Kirchen, öffentlichen Einrichtungen, etc. finden sich auch einige Industriebauten aus dem Zeitalter der beginnenden Industrialisierung. Was etliche dieser Gebäude miteinander verbindet: Die Hafenbahntrasse.

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Diese Karte ist unvollständig, was die Gebäude und Betriebe zur beginnenden Industrialisierung angeht.

Die Hafenbahn Auf einem 12 km langen Streckennetz fuhren ab1895 Güterzüge zwischen dem Thüringer Bahnhof und dem Sophienhafen. Die Strecke verläuft im Süden der Halleschen Innenstadt und bildete Teil der 1896 in Betrieb genommenen Halle-Hettstedter Eisenbahn.Das Areal befand sich in Hand Thüringisch-Sächsischer Eisenbahngesellschaf. Bedeutende Unternehmen hatten einen direkten Gleisanschluss. Dadurch war der Fernverkehr sowohl über Bahn als auch über Schiff gesichert.

Die Hafenbahntrasse war nach ihrer Stilllegung in den 80er Jahren des vergangenen Jahrhunderts über die Zeit zugewuchert und in den Hintergrund gerückt. In den vergangenen Jahren wurde sie Stück für Stück erneuert. Zwischen den Schienen wurde sie mit Asphalt ausgekleidet und mit Steinpflasterung verbreitert. Nun fahren auf ihr keine Güterzüge mehr, dafür ist sie eine wunderbare Strecke zum Radfahren und Spazierengehen.

Welche Industriezweige in Halle angesiedelt waren, erläutert Ralf Jacob, der Leiter des Stadtarchivs Halles.

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Zuckerfabrik Die Zuckergewinnung aus der Runkelrübe wurde bis 1830er Jahre durchgeführt, dann schwenkte man auf die Zuckerrübe um. Die Umgebung hat eine hohe Bodenfruchtbarkeit, auf der Rüben gut gedeihen, was ein ausschlaggebender Grund für den Erfolg der Zuckerproduktion gewesen sein mag. Im ewigen Kampf gegen den günstigeren Rohrzucker verdoppelte man 1835 die Einfuhrzölle auf unraffinierten Zucker. Dadurch konnten sich Rübenzuckerfabriken gründen, die den Bedarf decken sollten. Die 1859 gegründete "Neue Actien-Zuckerraffinerie" begann drei Jahre darauf mit der Produktion südlich des Bahnhofs. Es war ein damals hochmoderner Fabrikbau: Stützen, Träger und Dachkonstruktion waren aus Gusseisen, was sich in Halle sonst erst in den 1880ern durchsetzte. Dadurch gab es eine höhere Variabilität in der Bauweise, der Grundrissgestaltung und nicht zuletzt der Größe der Räume. Nach einigen betrieblichen Veränderungen wurde die Produktion anderer Fabriken an den Bahnhof verlagert. Hier lag die tägliche Produktion im Jahr 1884 bei 10.000 Zentnern Rohzucker. Verschiedene Produkte: Hutzucker, Kristallzucker, Raffinade oder Würfelzucker. Hier wurde früher nicht nur für die nähere Umgebung produziert, sondern auch für Bayern, Sachsen und Thüringen. Vor dem ersten Weltkrieg wurde sogar nach England exportiert. Direkt am Eingang des heutigen Parks am Thüringer Bahnhof stand bis vor etwa 20 Jahren die Zuckerfabrik. Das Gebäude in der Raffineriestraße wurde jedoch abgerissen und durch einen Neubau ersetzt.

Thüringer Bahnhof Die Hafenbahntrasse startet ein paar Hundert Meter südlich vom Hauptbahnhof in der Ernst-Kamieht-Straße. Nach einem kurzen Weg, stößt man auf den Thüringer Bahnhof. Auf dem ehemaligen Umschlagplatz von industriellen Waren und Rohstoffen befindet sich heute eine Parkanlage. Diese wurde zur Jahrtausendwende umgesetzt und dient nun der Erholung und dem Freizeitvergnügen. Im Park gibt es einige Sportangebote, so etwa einen Basketball- und einen Beachvolleyballplatz, eine Boulder- und Kletterwand und jede Menge Strecke zum Radfahren oder Tischtennisplatten. Ein Spielplatz ist ebenfalls anzutreffen. Im Sommer kann man hier gut seine Freizeit verbringen und den Tag ausklingen lassen.

Wie sich die Stadt in der Industrialisierung veränderte, erläutert Ralf Jacob.

Der wohl einzige Teil des Komplexes, der nicht neu saniert wurde.

Kaffeesurogatfabrik Auf dem Gelände des heutigen Handwerkerhofs wurde früher Kaffee-Ersatz produziert. Die "Kaffeesugoratfabrik Heinrich Franck Söhne GmbH" begann 1899 den Bau einer Fabrik in Halle. Vom damals großen Gebäudekomplex ist nicht mehr viel übrig, ein Innenhof, umgeben von vier Seiten Klinkerbau. Dort wurde Bohnenkaffeeersatz aus Malz oder Zichorienwurzel hergestellt; beides gedeiht - ähnlich der Zuckerrübe - gut im mitteldeutschen Gebiet. Die Firma agierte zu Beginn des 20. Jhd. weltweit, erfolgreich war sie unter anderem durch den Verkauf von abgepackten, verbrauchsfertigen Packungen a 125 g. Heute gilt der Komplex durch seine Vermietung an verschiedenene Betriebe und Firme als gutes Beispiel für eine Weiternutzung von Industriebauten.

Teile des Gebäudes sind inzwischen zu modernen Wohnungen eigenrichtet.

Es wird aktuell auch weiter ausgebaut.

Malzfabrik 1881 gegründet unter Namen "Reinicke & Co." begann sie ein Jahr später mit der Produktion. 1884 lag die Produktion bei 144.000 Zentnern Malz je Kampagne In den Weltkriegen war die Fabrik für die Trocknung von Lebensmitteln zuständig. Nachdem 1996 das Gebäude saniert wurde, stand es dennoch leer und fand keine feste Nutzung. Inzwischen sind im Gebäude seit kurzem Wohnungen und ein Fitnessstudio eingerichtet.

Loests Hof Zwischen der Schmied- und der Schlosserstraße steht eine ehemalige Mietskaserne, genannt Loests Hof. Der Bauunternehmer Loest hat sie ab 1884 errichten lassen. In den Gebäuden waren nicht nur Wohnräume eingerichtet, sondern ebenso Lagerräume und Arbeitsplätze. Auf kleinem Raum lebten viele Menschen gemeinsam - hygienisch nicht unproblematisch! Die Arbeiter waren häufig Landflüchtige. Mit einem geringen Gehalt konnte meist nur ein Schlafplatz als Untermieter oder Schlafgänger finanziert werden. Manche wichen auch aufs "Trockenwohnen" aus. Sie wohnten in frisch gebauten Häusern, in denen Putz und Mörtel erst trocknen mussten, bevor der Innenausbau begonnen werden konnte. Schlechte Lebens- und Arbeitsbedingungen führten häufig zu Alkoholismus.

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Von den Gleisen der Schmalspurbahn sieht man in der Turmstraße nichts mehr, wohl aber noch angrenzende Industriebauten.

An der Ecke Turmstraße werden als Erinnerung Pumpen- und Turbinenteile ausgestellt.

Hier startete die Schmalspurbahn, die die Betriebe in der Turmstraße an die Hafenbahntrasse angebunden haben. Das Foto zeigt einen alten Lokschuppen

Die Schmalspurbahn in der Turmstraße endete an Werkhallen der Halleschen Maschinenfabrik und Eisengießerei A.G.

Eine ehemalige Bedürfnisanstalt an der Hafenbahntrasse Ecke Merseburger Straße.

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Die Kreuzung von Hafenbahntrasse und Merseburger Straße.

Der ehemalige Schornstein des Elektrizitätswerk trägt nun das Symbol des Autohauses, was nun auf dem Gelände angesiedelt ist.

Elektrizitätswerk  Das Elektrizitätswerk wurde 1901 mit 200 Konsumenten in Betrieb genommen. Sogenannter Drehstrom ging an Großindustrie, Gleichstrom an Kleinindustrie und die elektrische Straßenbahn. Später wurden auf private Haushalte versorgt.

Freyberg-Brauerei An der Saale findet man gegenüber dem ehemaligen Elektrizitätswerk die Freyberg-Brauerei. Eine wunderschöne Industrieruine mit meterhohen Räumen zieht die Blicke auf sich, wenn man auf der gegenüberliegenden Saaleseite spaziert oder Fahrrad fährt. Die Brauerei gehörte 1931 zu den größten Privatbrauereien Mitteldeutschlands mit einem Bierausstoß von 100.000 hl im Jahr. Nun zerfällt langsam ihre Baustruktur, kaum eine Decke im Inneren ist noch intakt.

Ein Blick ins Gasometer hinein. Überreste der alten Anlage sind zu sehen (Streben für Tassen)

Die Überreste eines benachbarten Gebäudes, zum Teil schon abgerissen.

Städtisches Gaswerk Das bekannte Gebäude am Holzplatz diente ab 1898 als Ersatz für das Gaswerk 1 in Hafenstraße. Der Gasverbrauch der Stadt stieg stetig an, weswegen ein weiteren Gasometer gebaut wurde. Die drei Gasspeichertassen in der Hafenstraße wurden als Speicher weiter genutzt. Am Holzplatz handelt es sich um einen Teleskop-Glocken-Gasometer. Im Inneren waren sogenannte Tassen eingebaut, in denen luftdicht abgeschlossen das Gas gespeichert wurde. Je nach Menge des Gases konnte die Höhe verstellt werden. Im Inneren sieht man noch die Schienen, die mit der Tasse verbunden waren. Heute steht der Gasometer leer, gelegentlich wird er für Veranstaltungen genutzt, etwa Theateraufführungen oder Musikveranstaltungen.

Die Hafenbahn kreuzt die heutige Mansfelder Straße und führt durch die Hafenstraße.

Die Überreste eines ehemaligen Speditionsbetriebes, die in der Hafenstraße angesiedelt waren. Um den Hafen verteilt gab es diverse Lagerräume, die die Güter zwischengelagert haben.

Das dritte Gasometer ist heute Veranstaltungsort des Hausprojektes.

Gasanstalt 1 - Hafenstraße 7 Mehrere Gasanstalten versorgten die Stadt im 19. Jahrhundert mit Gas: Die Gasanstalt 1 in der Hafenstraße 7, die Gasanstalt 2 in der Kraußenstraße hinterm Steintor und eine private in der heutigen Geschwister-Scholl-Straße. Da der Gasbedarf stetig stieg, wurde das noch größere Gaswerk am Holzplatz gebaut. Nebenprodukte der Gasproduktion waren Koks, Teer, Ammoniakwasser und Grafit. Zusätzlich fielen einige Giftstoffe an, so etwa Arsen, Blei oder Cyanide. Diese konnten nicht gut entsorgt werden und lagern immer noch auf dem Gelände der Gasanstalt 1 in der Hafenstraße 7. Aktuell sind zwei der drei Gasometer des Geländes zugewachsen, das dritte dient als Veranstaltungsort für das alternative Hausprojekt, was in der Hafenstraße ist.

Sophienhafen Der Sophienhafen auf der Salineinsel wurde 1857 gebaut. Hier sollten die Frachtkähne anlegen und Waren und Rohstoffe umladen. Nur war das Hafenbecken viel zu klein für den vielen Verkehr. Stattdessen legten die Kähne an den beiden Saalearmen an, die die Salineinsel umschließen. Ein weiteres Hafenbecken war geplant, wurde aber nie in Betrieb genommen.

Das Ende der Hafenbahntrasse am Sophienhafen. Dort sind aktuell Werkstätten, Garagen und Bandprobenräume eingerichtet.

Die Saline Seit Jahrhunderten wird auf der Salineinsel im Westen der Innenstadt Salz aus Sole gewonnen. Hinter der Saline befanden sich im Industriezeitalter Ziegeleien.

Eine Lok der Hafenbahn steht zu Ausstellungszwecken vor den Gebäuden der Saline.

Wie kam es dazu, dass die Produktion in Halle zum Ende der DDR abbrach?

Mit der Zeit hat sich die Stadt gewandelt. Die Industriebetriebe und die Hafenbahntrasse haben ihre eigentliche Bedeutung verloren. Teilweise werden sie umgestaltet weitergenutzt, teilweise wurden sie abgerissen, um Platz für Neues zu schaffen. Wieder andere stehen noch leer und verfallen allmählich. Doch sind auch sie nicht ungenutzt, laden sie doch mit ihren ganz eigenen Charm und Charakter zum Erkunden ein. Was weiter mit ihnen in Zukunft geschieht, das steht noch offen.

Quellen Ich danke zunächst ganz herzlich Stefan Maynicke für das lange Gespräch über die hallesche Industrialisierung. Es hat mir die Verknüpfungen der Stadtgeschichte näher gebracht. Ebenso bedanke ich mich bei Ralf Jacob vom Stadtarchiv für das Interview. Des weiteren sind folgende Werke als Recherchequelle zum Einsatz gekommen:

  • Freitag, Werner; Minner, Katrin; Ranft, Andreas (Hrsg.) (2006) Geschichte der Stadt Halle. Band 2. Mitteldeutscher Verlag. Halle/Saale
  • Brockmeier, Thomas; Hertner, Peter (Hrsg.) (2007) Menschen, Märkte & Maschinen. Die Entwicklung von Industrie und mittelständischer Wirtschaft im Raum Halle (Saale). Mitteldeutscher Verlag. Halle/Saale
  • Stadtmuseum Halle (Hrsg.) (2006) Stadt der Arbeit. Halle im Industriezeitalter. Mitteldeutscher Verlag. Halle/Saale

Ein Blick in das Gebäude...